Beim Schreiben kann ich mich verlieren. So wie ich mich im Gespräch mit Freunden am Feuer oder beim Tee und auch beim gemeinsamen Kochen regelmässig in den unterschiedlichen Themensträngen und Situationen verliere. Wir folgen gemeinsam in unseren Gesprächen diesem Gedanken, jenem Impuls oder einem Gefühl und landen an ganz anderen Stellen, als wir zu Anfang erwartet haben.
Im Gespräch weben wir einen gemeinsamen Teppich aus Gedanken und Gefühlen. Wir gehen miteinander in Beziehung. Wir zeigen uns. Wir tauschen uns aus. Wir lernen uns kennen. Wir lernen. voneinander und miteinander.
Schreiben ist für mich etwas, um die Zeit zwischen den Gesprächen und Begegnungen zu überbrücken. Ich versuche meine Gedanken und Gefühle in einem Text zu erfassen, um jenen, mit denen ich gemeinsam auf dieser Reise des Lernens, des Lebens bin, mit Worten mitzuteilen, was mich bewegt. Das ist schwierig. Zum einen droht beim Schreiben ständig die Gefahr, missverstanden zu werden. Zum anderen besteht Kommunikation nicht nur aus Worten. Es gehört so viel mehr dazu.
In meinem Schreiben schwingt immer der Wunsch mit, dass auch der Faden meiner Worte, die Fäden der damit verknüpften Gedanken, an irgendeiner anderen Stelle weiterverwoben werden. Ich muss gar nicht wissen, wie und wo. Was nützt es mir zu wissen, was da gerade an einem anderen Platz auf der Welt mit meinen Impulsen geschieht? Sie dürfen sich weiterentwickeln, vielleicht müssen sie dies sogar. Vielleicht ist das Weiterentwickeln durch andere der eigentliche Sinn und Zweck davon, Gedanken in Worten festzuhalten. Denn ich habe ja mit meinen Gedanken, Gefühlen und Beobachtungen nur ein ganz kleines Puzzlestück der Wahrheit in meiner Hand. Wer weiss schon, wo genau dieses Puzzlestück hingehört, an welcher Stelle es hilft, ein Bild entstehen zu lassen, etwas sichtbar werden zu lassen, miteinander in Beziehung zu gehen.
Mit dem Schreiben gebe ich meine Wahrnehmung der Wahrheit in die Welt. Wenn wir alle unsere Sichtweisen, unsere individuellen Wahrheiten miteinander verknüpfen, entsteht Weisheit. So stelle ich mir das auf jeden Fall vor. Weisheit ist etwas, was nicht alleine entsteht. Keine einzelne Person kann, ohne in Resonanz mit anderen Menschen und auch der Natur zu sein, Weisheit kreieren. Weisheit ist ein Produkt zwischenmenschlicher Resonanz. Sie entsteht im Austausch miteinander. Vielleicht ist es sogar so, dass Weisheit etwas ist, dass wir nur in Beziehung mit anderen aushandeln können.
Wie gesagt, beim Schreiben kann ich mich verlieren. Und doch ist es kein wirkliches Verlieren. Ich biege ab, folge einem Nebenpfad. Ich erforsche einen neuen Weg, den ich noch nicht kenne und irgendwann kehre ich wieder zurück auf den Hauptweg. Unterwegs habe ich neue Sichtweisen, neuen Gedanken und neue Welten entdeckt.
So stelle ich mir gutes Lernen vor. So stelle ich mir das Entstehen von Weisheit vor. Weisheit, welche in der aktuellen Zeit so wichtig ist, um die Welt achtsam und verantwortungsvoll zu gestalten.
Lernen bedeutet für mich, immer wieder die Nebenwege, neue Wege zu erforschen, zu erfühlen, um dann doch immer wieder auf den Pfad zurückzukommen, welcher zum Ziel führt, das ich mir irgendwann einmal bewusst oder unbewusst für dieses Leben gesetzt habe. Ein Ziel, welches wir alle auf ganz unterschiedliche Art und Weise anstreben: Ein gutes Leben zu führen. Nur was genau ist gutes Leben?
Viele Erwachsene haben das Gefühl, dass das Lernen beendet ist, wenn sie ihren Abschluss in der Tasche haben. Viele begeben sich in einen Job und denken, nun sind sie fertig mit Lernen. Dabei sollte unser Lernen doch lebenslang andauern und nicht mit dem Ende irgendeiner Schule aufhören.
Im Leben geht es ums Erfahren und ums Lernen. Ich selber habe verschiedene Ausbildungen absolviert und diverse Hochschulabschlüsse erworben. Ich habe Jobs angenommen und war der Meinung: Jetzt kann und weiss ich alles. Ich dachte, ich bin auf dem richtigen Weg, weiss ich aber, dass dies Nebenwege waren, die mir ermöglichten, Wissen und Erfahrung zu sammeln. Der eigentliche Unterricht geschieht im Alltag, das eigentliche Lernen ist niemals zu Ende.
In den sozialen Medien sind Memes, eine Kombination von Bild und Text, sehr verbreitet. Manche verwenden Sprüche, die ich schon früher in Ausbildungen gelernt und vor langer Zeit in Büchern gelesen habe. Auf einen dieser Sprüche bin ich gerade heute wieder gestossen. Woher er genau kommt und was die Quelle ist, weiss ich nicht. Mich berührt er, wann immer er mir über den Weg läuft. Dieser Spruch lautet so:
Bedeutendes spirituelles Wachstum findet nicht statt, wenn du am Meditieren oder auf deiner Yogamatte bist. Es findet statt, wenn du dich in der Mitte eines Konfliktes wiederfindest. Es findet in dem Moment statt, wo du wütend, ängstlich, traurig oder frustriert bist, in deine alten Muster fällst und das tust, was du schon immer getan hat.
In dem Moment, in dem du realisierst, dass du nicht genau so handeln musst, wie du immer gehandelt hast, in dem Moment in dem dir auffällt, dass du auch anders handeln kannst, als du es bis jetzt getan hast, in dem Moment tritt das Wachstum ein.
Manche nennen diese Momente Erleuchtung. Ich beschreibe es für mich so, dass ich in diesem Moment einfach von einem Nebenpfad wieder zurück auf meinen Weg komme und durch mein Lernen, meine vermeintlichen Umwege, nun zusätzliche Handlungsweisen gelernt habe und anwenden kann.
Das Umfeld, in welches wir hineingeboren wurden, bestimmt die Vorstellung vom guten Leben. Für sehr viele, und dies vergessen wir immer wieder, ist das Ziel einfach nur etwas zu essen und ein Dach über dem Kopf zu haben, den Kindern eine Ausbildung zu ermöglichen, sicher zu sein. Andere treibt die Vorstellung vom Bewahren oder auch Erweitern des eigenen Besitzes an. Und für manche ist es der Kampf für Klima und Umwelt, für den es sich einzusetzen lohnt. Jede und jeder von uns hat ein kleines Puzzlestück der grossen Wahrheit. Jede und jeder von uns hat hierzu eine eigene Sichtweise.
Was wäre, wenn wir uns alle bewusst wären, dass niemand die Wahrheit alleine besitzt und wir uns auf die Suche und auf den Weg begeben müssen, um diese Wahrheiten zu einer Weisheit zusammenzufügen?
Vielleicht würden wir eine neue Form von Schule und Unterricht erfinden. Eine Form, in der wir unser tägliches Leben als die Lektionen ansehen können. Eine Form, in welcher wir gleichzeitig Lernende und Lehrende sind.
Das ist zu kompliziert, das wird nicht funktionieren, sagen mir viele. Es ist vielleicht komplex, aber nicht wirklich kompliziert. Die Herausforderung liegt darin, dass wir bewusst unsere Zeit damit verbringen, das Leben zu erfahren und zu begreifen, das Leben zu erspüren und zu erfassen. Wir müssen uns dazu entscheiden, miteinander zu lernen und zu forschen.
Wie eingangs gesagt, beim Schreiben verliere ich mich manchmal.
Heute habe ich mich in meinen Gedanken zu einem Leben als Schule verloren. In dieser Schule gibt es Raum für Kunst und gemeinsames Musizieren, es gibt Fächer zur Alltagsgestaltung und gesunden Lebensführung. Es gibt all das, was wir gerade brauchen, um das im letzten Blogbeitrag erwähnte «neue Normal» zu gestalten und zu erfassen. Wie diese Fächer alle heissen? Keine Ahnung, denn ich kenne das neue Normal noch nicht und weiss deshalb auch nicht, welche Fächer es wirklich dazu braucht. Jeder und jede von uns kann ihr eigenes Wissen und die eigenen Gedanken und Gefühle und auch sein Nichtwissen in diese Form des Lernens einbringen.
Im Fach «gesunde Wirtschaft» würde ich wohl mit den Themenschwerpunkten «Heilsame Beziehungen zum Geld» und «Suffizienz als Lebenskunst» starten, einfach weil ich hier wahrscheinlich viel Wissen als Lehrerin einbringen kann, aber auch viel Nichtwissen als Schülerin habe. Ebenfalls spielt mit, dass mich diese beiden Themen einfach interessieren.
Mein Impuls ist, diesen doch etwas anderen Blogpost zu teilen und wer weiss, vielleicht gibt es ja noch andere, die gemeinsam an dieser Schule, die Elemente der Begegnung, mit Elementen der virtuellen Unterrichtswelt verknüpfen soll, mitzuweben.
Im nächsten Beitrag werde ich mich ausführlicher mit dem Thema «Suffizienz als Lebenskunst» beschäftigen und ich bin selber gespannt, wohin mich dieses Thema führen wird. Den Faden «Das Leben als Schule» lasse ich für den Moment los, und nehme ihn wieder auf, wenn er auf irgendeinem Wege zu mir zurückkommt.