Der Herbst ist dieses Jahr für mich recht plötzlich gekommen, nicht vom Datum im Kalender her, sondern eher mit Blick auf die Natur.
Gerade noch waren die Weintrauben an den Reben und nun ist alles bereits gelesen. Die Blätter der Bäume sind bunt und zum Teil bereits abgefallen und auf meinem regelmässigen Spaziergang durch den Wald laufe ich über Wege, die mit Eicheln bedeckt sind. Diese Woche habe ich in Davos auf 2.000 Metern bereits meine erste Wanderung im Schnee gemacht.
Eine reiche Ernte scheint uns die Natur hier rund um mein Zuhause zu schenken. Die Apfelbäume sind voller Früchte und auch sonst scheint es ein nährendes Jahr voller Fülle zu sein. Zumindest hier in meinem Umfeld ist das so.
Natürlich ist es bei aller Schönheit im Augenblick für mich nicht möglich, diese Fülle ohne ein paar nachdenkliche Worte zu geniessen. Wir haben Mitte Oktober und unser Bundesrat hat über erneute Massnahmen beraten und Mensch und Wirtschaft werden sich darauf einstellen müssen, dass dieser Winter so ganz anders sein wird, als wie wir ihn kennen.
Unsere Bewegungsfreiheit und damit die Möglichkeit einander zu begegnen ist eingeschränkt. Vielen Unternehmen steht eine Zeit bevor, in welchen sie noch nicht so genau wissen, ob sie genügend Einnahmen generieren werden, um ihr Geschäft weiter am Leben halten zu können.
Mir scheint wir ernten auch hier gerade etwas, was wir über lange Zeit, bestimmt über einige Jahre, vielleicht aber auch über mehrere Jahrzehnte oder sogar Jahrhunderte gesät haben. Der Lebensstil, den wir auf Kosten anderer Menschen und der Natur gelebt haben, kommt an seine Grenzen.
Was genau die Ursache dieses Virus ist und was die beste Behandlungsform ist, ich weiss es nicht. Aber eines habe ich als Schülerin der Naturheilkunde gelernt: Ein gesundes Immunsystem ist nicht in gleicher Form anfällig für Krankheiten, wie ein angeschlagenes. Ein gesundes Immunsystem ist in der Lage mit den unterschiedlichen Impulsen von aussen umzugehen und wieder ein gesundes Gleichgewicht herzustellen. Dies gilt aus meiner Sicht auch für das Immunsystem der Wirtschaft.
Erst wenn das Immunsystem soweit angeschlagen ist, dass es die Selbstheilungskräfte nicht mehr alleine aktivieren kann, dann braucht es Hilfe von aussen. Ohne diese Hilfe von aussen würde das System irgendwann zusammenbrechen. Aber irgendwann bricht jedes System. So wie im Herbst die Blätter von den Bäumen fallen, hat auch alles andere seine eigene Zeit, seinen eigenen Lebenszyklus.
Wir versuchen ja auch nicht, die abgefallenen Blätter wieder an den Baum zu kleben, in der Hoffnung, dass sie wieder grün werden. Wir wissen, dass der Baum diese Phase des Sterbens und des Loslassens braucht.
Auch wenn diese Sätze Vergänglichkeit und Zusammenbruch in den Vordergrund stellen, so ist dieses Sich-Zurückbesinnen auf das Wesentliche, das Herunterfahren unserer konsumgesteuerten Wirtschaft auch eine Chance. Wir haben die Chance uns zu fragen, was wirklich wichtig ist. Genau jetzt bietet sich uns die Chance eine neue Form der Wirtschaft zu gestalten.
Diskussionen über einen Lebensstil, der die eigene Gesundheit fördert und gleichzeitig weder der Umwelt noch anderen Menschen schadet, werden in meinem Umfeld immer häufiger und auch konkreter.
Jedes einzelne menschliche Schicksal ist bedeutend. Manchen Menschen geht es gerade gar nicht gut und es ist wichtig, dass wir alle achtsam mit diesen Menschen und respektvoll mit ihren Schicksalen umgehen.
Die kommenden Wochen werden uns herausfordern neu zu denken. Sie werden uns herausfordern, neben unserer eigenen Gesundheit auch das Wohl anderer mit im Blick zu haben. Wirtschaft und Gesellschaft funktionieren nur, wenn wir alle gemeinsam als Solidargemeinschaft dazu beitragen. Jede und jeder in der Form wie er und sie kann.
Wir kennen die Zukunft nicht und wir haben auch nur wenig Kontrolle darüber, welche Entscheidungen im Aussen getroffen werden. Wir haben jedoch volle Kontrolle darüber, was diese Entscheidungen mit uns machen. Wir können uns als Opfer sehen. Das ist eine Möglichkeit. Wir können jedoch auch anders reagieren und uns bewusst werden, dass wir Teil der Lösung sind.
Egal was ich ganz persönlich von den Massnahmen halte, welche Politiker treffen. Deren Auswirkungen werden mich persönlich und andere um mich herum in unserem Leben beeinflussen, ob wir es wollen oder nicht.
Vielleicht werden mich manche für eine Idealistin oder vielleicht sogar für eine Träumerin halten, wenn ich in dieser Situation auch das Positive sehe und vor allen Dingen auf die Chancen fokussiere. Wobei, wer mich kennt weiss, für wie wichtig ich Träume halte. Sie enthalten das Potential, mit dem wir unsere Zukunft gestalten können.
Gerade in diesem Jahr ist die Ernte in der Natur hier um mich herum sehr reichhaltig. Ein Zeichen dafür, dass es in diesem Winter nicht an gesunden Lebensmitteln mangeln wird und auch noch genug da sein wird für jene, die eine weniger gute Ernte hatten. Übrigens, die UN hat vor einigen Jahren in einer Studie bewiesen: Es ist genug Nahrung für die gesamte Welt vorhanden, wenn wir sie richtig verteilen.
Ich füge noch eine weitere, häufig zitierte Aussage hinzu. Diese lautet: „Es ist genug zu Essen für alle da, jedoch nicht genug für all unsere Gier.“ Dies ist etwas, worüber wir regelmässig nachdenken sollten: Wann haben wir genug und wann ist es an der Zeit, dass, was wir mehr als genug haben weiterzugeben oder zumindest zu teilen?
Die kommenden Monate sind eine grosse Chance Neues zu gestalten. Nicht nur die gesunden Lebensmittel sind jetzt gerade reichlich vorhanden. Um mich herum spriessen auch die kreativen und guten Ideen rund um einen verantwortungsvollen Lebensstil. Vielen lokal und regional orientierten Unternehmen und Bauern geht es in diesem Jahr besser als in anderen Jahren. Immer mehr Menschen vernetzen sich und beginnen gemeinsam die Welt zu gestalten und zu formen, in der wir leben wollen und welche auch für die kommenden Generationen lebenswert ist.
Nach dem Herbst gehen wir mit Samhain (1. November, Allerheiligen, Halloween) in die Zeit des Rückzugs und der Besinnung. In diesem Jahr wird dies für mich eine ganz besondere Zeit sein.
Ich werde Rückschau halten auf das, was ich in den fast 50 Jahren meines Lebens geerntet habe und ich werde mir anschauen, mit welchen Vorräten ich in die Zukunft gehen möchte.
Mein Leben und Wirken wird weiterhin die verantwortungsvollen Geldflüsse und den respektvollen Umgang mit Mensch und Natur in den Mittelpunkt stellen. Doch wegen all dem, was gerade um mich herum passiert, werde ich noch konsequenter und fokussierter an dem arbeiten, was mir wichtig ist.
Es ist eine Zeit der Veränderung und jede Veränderung ist gleichzeitig ein Loslassen und eine Chance. In meiner Lebenszeit war die Chance noch nie grösser, die Vorraussetzungen noch nie besser, um dazu beizutragen, diesen an Konsum und Wachstum orientierte Gesellschaft in eine verantwortungsvollere Richtung zu entwickeln.
Ich habe grossen Respekt vor dem, was kommt und gleichzeitig freue mich mich darauf, an dieser Veränderung mitwirken zu dürfen.