April 2020

Wie feiern wir in dieser Zeit das Wunder des Lebens und der Liebe?

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In der Nacht vom 30. April auf den 1. Mai wird in vielen Kulturen das Wunder des Lebens und der Liebe gefeiert. Beltane, der Sommeranfang im irischen Kalender, Walpurgisnacht oder auch Tanz in den Mai, diese Nacht hat unterschiedlichste Namen. Da sie in unserer Region in einen arbeitsfreien Tag, den 1. Mai, den Tag der Arbeit, übergeht, finden an vielen Orten lange und ausgiebige Feste statt. 

Nicht in diesem Jahr. Da Versammlungen mit über fünf Personen derzeit nicht erlaubt sind, brauchen wir eine andere Form, um die kommende Zeit zu begrüssen. Walpurgis, die am 30. April in unterschiedlichen Regionen geehrt wird, gilt übrigens als Schutzheilige gegen Pest, Husten und Tollwut. 

Mit der letzten Nacht im April beginnt in der Landwirtschaft die Zeit des Säens, des Wachsens, die Zeit der Fruchtbarkeit. Neben der Tradition des Feierns hat sich bis heute an vielen Orten das Aufstellen des Maibaums gehalten. 

Ob all die Geschichten um diese Rituale und Mythen wirklich wahr oder ob diese nur romantische Erfindungen sind, ist wiederum eine Frage, bei der ich gerne zugebe, dass ich es nicht weiss und auch nicht wissen muss. Es sind schöne Geschichten und Rituale, die ich gerne als Impulse aufnehme. Sie bestätigen und unterstreichen das, was wir in unseren Breitengraden in der Natur beobachten können. 

Hier am Walensee regnet es seit zwei Tagen und den Pflanzen kann man beim Wachsen zusehen. Die Bäume spriessen und das Leben beginnt wieder. Das ist es wohl, worauf uns  die Bräuche und Rituale hinweisen wollen, wenn wir vor lauter Geschäftigkeit vergessen, auf die Welt um uns herum zu achten. 

Vielleicht ist es ein Zufall, vielleicht auch nicht, dass nun nach dem Lockdown genau in dieser Zeit die Lockerungen beginnen, Wirtschaftsleben und eine Vielzahl von 1:1 Begegnungen werden wieder möglich. Auch hier: Ich muss nicht wissen, ob es Zufall ist oder nicht. Für mich ist wichtig, dass ich es wahrnehme, bemerke, was es mit mir macht und daraus meine Handlungen ableite. 

Mich ganz persönlich bestärkt es darin, mich auf die Aspekte der letzten Wochen zu fokussieren, die mir ein Lernen ermöglichten und die mir Hinweise darauf gaben, was verantwortungsvolles Leben und Wirtschaften bedeutet, was nun an weisem Handeln notwendig und was von mir erwartet wird.

Viele Unternehmen, die noch im Januar sehr zuversichtlich auf dieses Jahr geschaut und im sogenannten «business as usual» weiteres Wachstum geplant haben, wissen nun nicht, ob sie dieses Jahr finanziell überleben werden. Viele Menschen, die noch im Januar dachten, sie hätten einen sicheren Job, sind nun mit Arbeitslosigkeit konfrontiert.

Hinter all diesen Schicksalen stehen Menschen. Wenn ich mich in diese hineinversetze, werde ich traurig, denn ich weiss, dass ihnen eine Zeit bevorsteht, in der vieles nicht einfach sein wird. Ängste und Fragen werden aufkommen, zum Teil ganz praktischer Natur, wie zum Beispiel die Frage danach, wie die Miete, das Essen und die Ausbildung der Kinder weiter sichergestellt werden können. Hierfür braucht es Lösungen und hier sind wir alle gefragt. Es geht nicht nur um die Konsumenten, die Arbeitnehmenden, die Arbeitgebenden, die Lehrpersonen und Lernende, auch nicht um die Politiker, die wir gerne aufrufen, unsere Probleme zu lösen. Kein einzelnes dieser Segmente auch die Klimaschützer und die Multimillionäre nicht, auch keine der Gruppen, die ich noch gar nicht genannt habe, keine ist alleine verantwortlich oder kann das Problem alleine lösen.

Wir alle, jede und jeder von uns, sind auf gewisse Weise Teil des Problems und Teil der Lösung. Das Schicksal der Restaurantbesitzerin oder des Geschäftsinhabers, die mit guter Absicht bis vor kurzem Dinge verkauften, die wir eigentlich nicht brauchten und doch gerne besitzen wollten, geht uns alle etwas an. Auch für jene Menschen, deren Job davon abhing, dass wir reisen, shoppen und all die anderen Dinge tun, welche diese Wirtschaft am Laufen gehalten haben, tragen wir eine Mitverantwortung.

Wir haben diese aktuelle Gesellschaft auf dem Funktionieren einer Wachstumsmaschinerie aufgebaut, die nur weiterlaufen kann, wenn wir ständig mehr und mehr produzieren und konsumieren.

Mit Beginn der Fastenzeit Ende Februar wurde die Wachstumsmaschinerie gestoppt. Vollständig. Die scheinbar logische Konsequenz wäre nun, dass wir nach der Aufhebung des Lockdowns wieder damit weiter machen, worin wir im Februar unsanft unterbrochen worden sind. Doch dann würden wir all das, was nun sichtbar geworden ist, ignorieren. Wir würden ausser Acht lassen, dass ein Leben mit weniger Konsum genauso möglich ist und beiseiteschieben, dass es völlig ausreichend ist, wenn vom Flughafen Zürich nur 28 Flugzeuge in der Woche in die Luft steigen und unsere Umwelt belasten. Wir würden ignorieren, dass wir im Homeoffice viele Dinge genauso gut erledigen können, wie in einem Büro und darüber hinwegsehen, dass 9 von 10 Meetings, die wir in unserem Büros abgehalten haben, gar nicht stattfinden müssten oder zumindest in einer viel kürzeren und damit effizienteren Art und Weise durchgeführt werden könnten.

Werden wir unberücksichtigt lassen, dass wir ein Gesundheitssystem aufgebaut haben, welches nicht in der Lage war, ohne diese massiven Eingriffe in unser Leben, eine Notfallversorgung von kranken Menschen während einer Epidemie aufrecht zu erhalten? Werden wir vergessen, dass es Familien gibt, die gerade an den Rand ihrer Belastbarkeit kommen dadurch, dass sie gleichzeitig Homeschooling, ihren Job und auch noch die Paarbeziehung unter einen Hut bekommen müssen, und dies an manchen Stellen auf sehr kleinem Raum? Werden wir uns am Ende des Lockdowns noch daran erinnern, dass die Natur sich gerade schneller als erwartet erholt hat? Wir haben derzeit sauberere Flüsse und Meere, klarere Luft und weniger Lärmbelästigung als sonst um diese Jahreszeit. 

Werden wir ignorieren, dass wir unsere Eltern und Grosseltern in den Pflege- und Altersheimen nicht mehr besuchen konnten und ausblenden, wie sehr uns selber die Umarmungen, der Austausch mit anderen Menschen und das Leben ausserhalb unserer eigenen vier Wände gefehlt hat? Werden wir die Freiheit, die wir zur Gestaltung unserer Zeit zurückgewonnen haben, aufgeben und unseren Takt des Tages wieder durch die äusseren Zwänge bestimmen lassen?

Nun können wir das wirtschaftliche und gesellschaftliche Leben genau zu Beltane, zum Beginn der Sommerzeit, wieder langsam anlaufen lassen. Wir können das Leben, welches wir uns wünschen, wieder beginnen.

«You can never unlearn», damit ist gemeint: «Was wir wissen, können wir nicht mehr ignorieren». Dieser Spruch, der mich schon lange begleitet, macht mir Hoffnung, ruft mich dazu auf hinzuschauen und Verantwortung zu übernehmen.

In der Natur wird der Prozess des Wachstums begleitet vom ständigen Regulieren und Anpassen an die vorhandenen Ressourcen. Es müssen genügend Nährstoffe für alle Pflanzen und Tiere zur Verfügung stehen. Keine Art kann über die eigenen Bedürfnisse hinaus Ressourcen beanspruchen, sonst kommt es zu einem Ungleichgewicht.

Und was heisst das nun konkret für mich? Welche Schlüsse kann ich aus meiner Analyse ziehen?

Zunächst einmal lerne ich wieder genauer hinzuschauen, Zeugnis abzulegen und die Themen zu benennen. Das Problem zu erkennen ist der Anfang jeder Veränderung.

Anschliessend gilt es, in kleinen Schritten, wo immer es möglich ist, mit dem Handeln zu beginnen. Ich ganz persönlich habe durch meine Ausbildung, meine Erfahrung und meine Leidenschaft für verantwortungsvolle Geldflüsse die Möglichkeit, das Finanzsystem mitzugestalten. Damit ist meine wichtigste Aufgabe Geldflüsse zu ermöglichen, die all unsere Erfahrungen in dieser Krise berücksichtigen. Es ist meine Aufgabe mitzuwirken, dass eine Wirtschaft entsteht, die uns alle befähigt, ein Leben in Einklang mit der Natur und den vorhandenen Ressourcen zu führen. Ich habe noch keine Lösungen gefunden, aber ich weiss, dass es meine Aufgabe ist, an diesen Lösungen mitzuwirken,

Ganz konkret bedeutet dies für mich verantwortungsvoll einen Platz einzunehmen, an dem ich aktiv etwas zu einer Entwicklung in diese Richtung beitragen kann.

Ich denke, das ist gerade jetzt die Hauptaufgabe für jeden von uns: Sicherzustellen, dass wir an der Stelle wirken, an der wir all unsere Erfahrungen einbringen können. Mit «Stelle» meine ich nicht nur diejenige in der Arbeitswelt. Gerade jetzt in diesem Moment brauchen wir auch äusserst dringend ganz viel andere Dinge. Wir müssen die Gemeinschaft pflegen, menschliche Nähe geben, zuhören und einfach nur da sein. Wir brauchen Kunst, Musik und Schönheit, die Freude am Leben bringen. Dies sind Dinge, welche wir im Alltag häufig vergessen. Aber sie sind umso wichtiger, vielleicht noch wichtiger als die verantwortungsvollen Geldflüsse, denn Geld können wir nicht essen. Es ist immer nur Mittel zum Zweck. 

Damit komme ich zu einem zweiten Schritt, mit dem ich ganz persönlich zu einer positiven Entwicklung beitragen kann. Ich glaube fest daran, dass in einer verantwortungsvollen Gesellschaft die Grundbedürfnisse von jeder und jedem gedeckt sein müssen. Egal ob Künstler, Managerin, Lehrer, Ärztin oder Pfleger. Diese Basis für ein gutes Leben, die uns eine gewisse Freiheit und Unabhängigkeit verschafft, brauchen wir alle. Das bedingungslose Grundeinkommen ist noch nicht etabliert. Selbstversorgende Dörfer und Städte gibt es noch immer sehr wenige. Daran müssen wir in den kommenden Jahren arbeiten. All jene, die im Moment mehr haben, als sie zum Leben brauchen können in ihrem direkten Umfeld persönlich im Kleinen mit der Umsetzung starten und an Initiativen wie «Together now» und «Mein Grundeinkommen» teilnehmen. Wir können aber auch unserer Coiffeuse, dem Yogalehrer oder auch anderen Dienstleisterinnen und Dienstleistern Gutscheine für zukünftige Leistungen abkaufen, oder noch besser, ihnen mehr bezahlen als sonst. Wir können ein Projekt eines Musikers, eines Künstlers oder eines anderen Menschen, eine Monatsmiete übernehmen oder ein Jahresabo für Biogemüse schenken. Mit dem Jahresabo tun wir übrigens auch noch dem Bauern aus der Region etwas Gutes, der ja in den letzten Wochen keine Möglichkeiten hatte, seine Waren auf dem Markt zu verkaufen. 

Die wichtigste Frage an mein Gegenüber ist derzeit bei jeder Begegnung: «Was brauchst du?» Und das ist manchmal etwas ganz anderes, als wir denken. Es ist wichtig, dass wir alle immer wieder diese Frage an die Menschen, die unter dieser Krise noch mehr leiden als wir, stellen.

Ich selber unterstütze mein direktes Umfeld, da ich das Gefühl habe, hier kann ich am meisten bewirken. Es gibt unendlich viele Gelegenheiten etwas im Rahmen der eigenen Möglichkeiten zu bewegen.

Im Sinne des Buches von Rob Hobkins, dem Gründer der Transition Bewegung geht es darum jetzt zu starten. Einfach. Jetzt. Machen!

Was genau ist denn bitte nun normal?

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Ich sitze in Quinten auf der Terrasse und beobachte die Natur um mich herum. Heute Nacht hat es endlich geregnet und die Bäume und Sträucher nutzen dies, um in einen Wachstumsschub zu gehen. Die Feigen sind schon fast baumnussgross und an den Reben spriessen bereits die Blütenstände. 

„Das ist doch nicht normal!“ denke ich, „Das ist doch viel zu früh!“ und „Hoffentlich kommt nicht noch Frost!“ sind die weiteren Gedanken, die in mein Bewusstsein treten.

Als nächstes nimmt sich die Frage, die ich mir selber und vielen anderen gerade immer wieder stelle, laut und unübersehbar ihren Raum:

Was genau ist denn bitte nun normal?


Wie im letzten Blogbeitrag versprochen, verwebe ich die Fäden von Nichtwissen und Suffizienz in den kommenden Wochen in meine Beiträge. Manchmal werden diese dem Beitrag eine deutliche Färbung geben, manchmal werden sie als leise Musik im Hintergrund einen Klangteppich legen.

Ich habe in der NZZ vom 19. April 2020 ein Interview mit der Virologin Karin Mölling gelesen. Die Überschrift dieses Artikels lautet:

«Woher wissen denn allein Virologen, was richtig ist? Wir wissen vieles nicht. Leider»

Es entspannt mich sehr, das Nichtwissen überall um mich herum zu erleben. Dies scheint ein Widerspruch in sich zu sein. Nichtwissen und Entspannung – ist dies überhaupt miteinander vereinbar?

Wollen wir nicht eigentlich alles wissen? Wollen wir nicht immer alles verstehen und anschliessend auch noch vollständig kontrollieren? Wer denkt nicht selber oft: „Ich muss dies oder jenes unbedingt verstehen, sonst bin ich nicht handlungsfähig“. 

Die letzten Wochen haben mich gelehrt, wie entspannend das Nichtwissen ist, wenn es benannt ist und wenn ich es als eine Art Naturgesetz für mein Leben akzeptiere. Mir wird immer deutlicher, ich kann nur Wahrscheinlichkeiten abschätzen und Hypothesen aufstellen, für all das, was in meinem Leben und in der Welt in Zukunft passieren wird. Ein definitives Wissen habe ich nur über die Dinge, die in meiner Vergangenheit passiert sind. Aber auch hier gilt, dass wir unseren Erinnerungen nicht immer glauben schenken können. 

Ein wichtiger Aspekt dessen, was von nun an für mich normal sein wird, ist, dass ich in vielen Bereichen meines Lebens den Faktor Nichtwissen mitberücksichtigen muss, wenn ich die Zusammenhänge wirklich verstehen möchte.

Um beim Eingangsbeispiel des Feigenbaumes und des Weins zu bleiben, auch wenn es mir so vorkommt, in Wirklichheit und Wahrheit habe ich keine Ahnung, ob sie nun zu früh in Blatt und Blüte stehen. Sie haben einfach auf das reagiert, was die äusseren Bedingungen ihnen anbieten. Im Herbst wissen wir mehr.

Auch die Philosophie, welche hinter dem Begriff Suffizienz und hinter der Suffizienzpolitik steht, scheint mir sehr hilfreich zu sein, um eine ganz eigene „neue Normalität“ zu finden und zu erforschen. Die Fragen „Was ist genug?“ und „Was sind meine Grundbedürfnisse?“ sind dazu zwei wunderbare Leitplanken.

Übrigens, der im letzten Blogbeitrag erwähnte Satz auf den Anzeigen der SBB Tafeln hat inzwischen einen neuen Wortlaut. Neu lautet der Text nun: «Der Verkehr wurde auf ein Grundangebot reduziert“. Vorher lautete der Text: „Der Verkehr wird schrittweise auf ein Grundangebot reduziert “. In diesem Bereich kann jede und jeder in der Schweiz gerade prüfen, wie gut er und sie mit dem, was die SBB als Grundbedarf definiert hat, leben kann.

Für mich bedeutet diese aktuelle Anpassung auf meinen zwei wichtigsten Strecken ganz Unterschiedliches. Auf der einen Strecke wird mir ein 30-minütiger Spaziergang durch den Wald ermöglicht, denn die Haltestelle, welche ich bisher benutzt haben, gilt als touristische Erschliessung und wird derzeit nicht bedient.

Für die zweite Strecke muss ich nun unterwegs 30 Minuten Zwischenaufenthalt einkalkulieren, da der bisherige Anschlusszug nun sehr knapp, laut Fahrplan gar nicht erreichbar ist.

Im Austausch dafür kann ich in angenehm leeren Zügen reisen und habe überraschenderweise wieder mehr Kontakt und Gespräche mit Mitreisenden – natürlich unter Wahrung des notwendigen Abstandes.

Und was verliere ich? Manch einer oder eine würde nun sagen, dass ich 30 Minuten verliere. 

Bei der ersten Strecke ist dies mit Sicherheit nicht der Fall, denn der Weg nach Hause durch den Wald ist derzeit bei diesem Wetter und in dieser Jahreszeit ein Gewinn, ein Geschenk. Und wenn es dann irgendwann wieder regnet oder gar stürmt? Wer weiss, ob dann der Fahrplan immer noch der gleiche ist. Die SBB schreibt auf ihrer Webseite: „Nach der Ankündigung des Bundesrates zur Lockerung der Corona-Massnahmen wird ab dem 27. April auch der Bahnbetrieb schrittweise zurück zum regulären Fahrplan geführt.“ Also geniesse ich es, solange es anders nicht möglich ist, um dann in ferner Zukunft nur noch bei wirklich schlechtem Wetter oder Dunkelheit bis zur wohnungsnahen Station weiter zu fahren, denn wer hindert mich daran, die lieb gewonnene Angewohnheit eines 30-minütigen Spaziergangs auch nach Wiedereinführung des regulären Fahrplans beizubehalten? Das einzige, was mich stoppen könnte, wäre meine ganz persönliche Bequemlichkeit oder dann meine Unachtsamkeit, wenn ich es verpasse, eine Haltestelle vor der Endstation auszusteigen.

Zumindest bei der zweiten Strecke stimmt es auf den ersten Blick, dass ich Zeit verliere. Nun ja, ich brauche eine halbe Stunde länger, aber die Zeit ist ja nicht verloren.

Es ist ein offenes Geheimnis: Zeit können wir gar nicht verlieren.  Wir haben an jedem Tag gleichviel Zeit: 24 Stunden = 1‘440 Minuten = 86‘400 Sekunden. Diese 86‘400 Sekunden sind während unseres gesamten Lebens täglich aufs Neue da. Ein Verlieren ist nicht möglich. 

Das, was passieren kann und auch sehr regelmässig passiert, ist, dass wir Zeit mit etwas verbringen, was wir in dem Moment gar nicht tun sollten oder wollten. Wir lassen uns ablenken, wir tun etwas, wozu wir eigentlich gar keine Lust haben. Dafür können wir niemand anderem die Schuld geben. Es ist unsere ureigene Entscheidung, was wir in jeder einzelnen Sekunde tun. Niemand zwingt uns zu irgendwas. Wir selber entscheiden. Es gehören zu jedem Tag auch Dinge, die wir vielleicht nicht so gerne tun. Diese Dinge kennt jeder und jede von uns. Und doch entscheiden wir uns aus den unterschiedlichsten Gründen sie zu tun.

Zum Beispiel entscheiden wir uns, die Zimmer zu putzen oder den Müll hinauszubringen, weil wir gerne in einer sauberen Wohnung wohnen. Wir gehen ins Büro, in die Werkstatt oder ins Atelier, weil wir uns dazu entschieden haben, eine bestimmte Tätigkeit zu verrichten. In all diesen Fällen könnten wir uns auch anders entscheiden. Wir müssen einfach nur mit den Konsequenzen der Entscheidungen leben, unseren Lebensstil anpassen oder unsere Lebensträume hinterfragen. Dies ist zugegebenermassen nicht immer ganz einfach, und doch ist es möglich und auch machbar.

Nun, da ich weiss, dass ich eine halbe Stunde Zeit auf einem Bahnhof mitten im Nirgendwo einplanen muss, darf ich mir die Frage stellen: „Wie möchte ich diese Zeit verbringen?“ Denn diese Zeit ist nicht verloren, sondern sie möchte gestaltet werden. Meine Kreativität ist gefragt. Manchmal nutzte ich diese gewonnene halbe Stunde zum Lesen, manchmal nutze ich die Zeit, um Ideen für meinen Blog zu entwickeln und manchmal beobachte ich einfach, wie der Fluss fliesst.

In diesem Zusammenhang noch zwei Dinge:  Zum einen rechne ich selber für mich nicht in Sekunden und wenn ich meinen Tag frei gestalten kann, rechne ich noch nicht einmal in Stunden. Ich folge dem Fluss der Dinge, die ich tun mag und die gerade zu tun sind. Und irgendwie sind am Abend in der Regel all die wirklich wichtigen Dinge erledigt. Da gerade im Aussen so viele Dinge wegfallen, mit welchen ich mich noch vor einiger Zeit beschäftigt habe, geschieht dies noch viel häufiger als sonst. Dies ist ein weiteres wunderbares Geschenk.

Und zum anderen, und auch hier verrate ich kein Geheimnis: Zeit können wir nicht aufsparen. Alles, was auf meinem persönlichen Zeitkonto für heute zur Verfügung steht, kann ich nur heute abbuchen.

Wenn ich mir etwas für unsere neue Normalität wünschen darf, ist es, dass wir uns des Geschenks der Zeit bewusstwerden, und uns deren Vergänglichkeit bewusst vor Augen führen.

Was wäre, wenn wir alle den Zeitpunkt unseres Todes kennen würden? Der belgische Film «Das brandneue Testament» aus dem Jahr 2015 nimmt diese Idee auf. Vor ein paar Tagen habe ich ihn mal wieder angeschaut. Eine spannendes Gedankenexperiment, welches uns auf nachdenklich-komische Weise mit unserer Endlichkeit konfrontiert. Welche der Dinge, die uns noch zu Beginn dieses Jahres als normal erschienen, würden wir weitermachen? Welche sofort beenden?

Die letzten Wochen haben vielen von uns deutlich gemacht, dass ein entschleunigter Lebensstil Raum zum Nachdenken lässt, darüber was wir wirklich brauchen und was der Natur und unserer Umwelt guttut. 

Wir haben die Freiheit, aus den vergangenen Wochen zu lernen. Das Lernen wird für jede und jeden von uns ein unterschiedliches sein. Und das ist auch wichtig und gut. Das einzige, was uns vom Lernen abhalten kann, sind wir selber.

Damit bin ich nun wieder am Anfang des Blogeintrags angekommen. Ich bin zurück zu der Frage: 

Was genau ist denn bitte nun normal?


Normal ist wohl jedes Mal etwas anderes. Es ist das, was am besten zur Situation passt, in welcher ich mich gerade befinde. Die Natur macht es vor. Die äusseren Umstände, insbesondere die aktuelle Wärme lässt sie früher ins Wachstum gehen, als ich es vermutet hätte. Ob dies richtig oder falsch war, wissen wir noch nicht. Erst wenn wir im Jahreskreis weiter sind, werden wir wissen, ob es nochmals kalt geworden ist, ob die zarten Sprossen den Frühling, in dem wir uns jetzt gerade befinden, überstanden haben. 


«Erst wenn wir im Jahreskreis weiter sind, werden wir wissen…», dieser Satz lässt sich auch auf die Veränderungen durch die Coronakrise anwenden: Ob die positiven Auswirkungen auf Natur und Klima und zum Teil auch auf unseren Lebensstil sich weiter festigen lassen, werden wir erst mit einem gewissen Abstand feststellen.

Im Gegensatz zu den Abläufen in der Natur haben wir hier aber die Möglichkeit, den Lauf der Dinge zu beeinflussen und eine neue, lebenswerte und verantwortungsvolle Normalität zu erschaffen.

Jeder Abschluss ist gleichzeitig ein Beginn

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Am Ostersonntag um 10 Uhr haben am Walensee in allen Dörfern die Kirchenglocken geläutet. Die wenigen Schiffe auf dem See standen überwiegend still und schienen, genau wie ich, einfach für 15 Minuten innezuhalten und zu lauschen. Stillstand. 

Diese 15 Minuten hatten für mich etwas Heiliges. Ein grosses Geschenk und irgendwie habe ich das Gefühl gehabt, es fühlt sich an wie ein Versprechen. Ein Versprechen von mir an mich selber. Und der Abschluss dieser Fastenzeit.

Ostern hat in den unterschiedlichsten Kulturen die unterschiedlichsten Bedeutungen. Die Essenz dieses Festes ist für mich das Wissen um den Neubeginn. Ob nun aus der christlichen Tradition heraus oder aus einer anderen betrachtet, immer geht es um den Neubeginn. Um die Möglichkeit nach einer Phase, die herausfordernd war, zu wachsen. In der christlichen Tradition feiern wir die Auferstehung. Im Jahreskreis ist es die Rückkehr des Frühlings, des Wachstums, der zur Fülle führt.

Der Abschluss dieser Fastenzeit 2020 ist für mich etwas besonderes. Da sich im Leben jedes einzelnen Menschen, den ich kenne, in den letzten 40 Tagen so viel verändert hat, kann ich mir nicht vorstellen, dass es für mich ein Zurück in die alten, nicht immer förderlichen Verhaltensweisen geben kann. Diese Fastenzeit war so eindrücklich, auf so vielen Ebenen einschneidend, da kann es für mich gar kein Zurück zum Normalzustand geben. Mal abgesehen davon, dass ich weder das Leben, welches wir als Gesellschaft in den letzten Jahren geführt haben, für normal halte noch, dass ich wirklich dorthin zurück möchte. In meinem Umfeld höre ich keine Stimmen, die sagen: „Ich will dahin zurück, woher ich komme“. Vielmehr höre ich von den unterschiedlichsten Seiten: „Nun habe ich wieder Zeit für die Dinge und Menschen, die mir wirklich wichtig sind.“ Und viele bemerken auch, wie gut es tut, innezuhalten und sich auf das Wesentliche zu besinnen. 

Viele sehen sich in ihrem privaten Umfeld mit grossen Herausforderungen konfrontiert, seien es kranke Familienangehörige oder Freunde, sei es die Ungewissheit, wie sich das Leben weiterentwickeln wird. Ich erlebe viel Unterstützung und Kreativität, erlebe, wie Menschen wieder beginnen einander zu fragen, was sie gerade brauchen. Ich beobachte, wie wir zurückgeworfen werden auf unsere unmittelbare Gegenwart, auf das, was direkt um uns herum geschieht. Viele kochen wieder mehr. Sie backen ihr Brot wieder selber. Statt zum Supermarkt gehen sie zum Bio-Bauern. Sie denken und handeln wieder lokal und regional. Viele achten wieder mehr auf die Gesundheit.

Meinrad hat in der Karwoche zu verschiedenen Themen in seinen Beiträgen Stellung genommen. Dies nehme ich zum Anlass diese Themen auch nochmals für mich zu reflektieren, um damit diese intensive, unerwartet verlaufende und doch auf so ganz verschiedenen Ebenen nährende Fastenzeit sowie mein Schreiben im Kontext von „Fasten-Nachhaltig 2020“ abzuschliessen.

Wie schon gesagt, werde ich auf meinem Blog SeelenBilderGeschichten weiterschreiben, jedoch das Thema Geld und Fasten als roten Faden fallen lassen und mich mehr dem Thema, des Nichtwissens, dass ich hier kurz behandelt habe, widmen. Wie kann die Chance zum Umdenken, für den Beginn einer neuen verantwortungsvollen Art zu leben, genützt werden? Was bringt die aktuelle Entwicklung, was bringen die Massnahmen rund um Corona mit sich, diesen Fragen möchte ich in Zukunft vertieft nachgehen. 

Auf den Anzeigetafeln der SBB war in den letzten Tagen immer wieder zu lesen: „Wir passen unser Angebot der Grundversorgung an“. Jedes Mal, wenn ich diesen Satz sehe halte ich inne. Wie oft in den letzten Jahren habe ich mir gewünscht, dass die Suffizienz ihren angemessenen Ort in unserem Leben bekommt. Wir haben längst mehr als genug, um allen ein gutes Leben zu ermöglichen. Nur leider ist all das, was es dazu braucht, an vielen Stellen ungerecht verteilt. Ein paar wenige haben von allem viel zu viel, einige haben genug und viele, viele andere haben viel zu wenig. Eine Welt, in der für uns alle, wirklich alle, die Grundversorgung gesichert ist, das ist etwas, wofür ich schon seit Jahren wirke und webe. Dieses Ziel erscheint nun ganz plötzlich viel realistischer und machbarer als noch vor wenigen Wochen.

Mit Beginn dieser Fastenzeit, begann auch die Phase, in der die Massnahmen rund um Corona unser aller Leben bestimmen. Wir verzichteten auf vieles, was wir bisher für selbstverständlich gehalten haben. Viele Dinge in meinem Leben habe ich weit über meine Grundbedürfnisse hinaus genutzt. Nur in der Fastenzeit, wenn ich bewusst Verzicht übe, bemerke ich, dass ich mir von vielem unachtsam mehr nehme, als ich wirklich brauche. Leider wird mir nur in dieser Phase des  Fastens richtig bewusst, wie sehr auch ich, die sich selber für recht nachhaltig und verantwortungsvoll hält, über meine Verhältnisse lebe, was zu Lasten anderer geht.

Indem ich nun die Brücke zu jenen Beiträgen, welche Meinrad in dieser Woche verfasst hat, schlage, schliesse ich diese Fastenzeit für mich ab.

Palmsonntag – das Leben ist hart

In seinem Beitrag „das Leben ist hart“ spricht Meinrad davon, dass wir das Leiden brauchen, um zu lernen. Die schwierigen Phasen im Leben sind jene, die uns wachsen lassen. Am 5. April, dem Erstellungsdatums dieses Beitrags, begann die Karwoche, welche in der christlichen Tradition dem Leidensweg Christi gewidmet ist, eine Woche, die sich wie keine andere im Kirchenjahr mit dem Leiden beschäftigt. 

Schon mehrfach habe ich in Blogbeiträgen meine Vorliebe für vermeintlich altmodische, zum Teil aus unserem täglichen Wortschatz verschwundene Begriffe gezeigt. Beim Leiden fällt mir immer wieder das Wort Hingabe ein. Im Englischen gibt es den Begriff „Surrender“, der aus meiner Sicht noch passender ist. Ich stelle mirin solchen Momenten vor, wie ich mich der Situation hingebe statt zu leiden, mit ihr fliesse, so wie das Wasser im Bach sich seinen Weg sucht. Ich hadere nicht mit der Situation, ich schaue, was sie mich lehren will. Für mich ist das Leben weder hart noch weich. Ich kann es mir schwer oder einfach machen, durch die Art, in welcher ich mit bestimmten Situationen umgehe. Manchmal ist einfaches Lernen angesagt, manchmal braucht es die Herausforderung. In diesem Sinne ist das Leiden für mich eine wichtige Komponente meiner Weiterentwicklung.

Einstieg in die Karwoche – „Ich bin nicht so wichtig“

„Ich bin nicht so wichtig“ ist Meinrads zweiter Beitrag dieser Karwoche. Schon bevor ich ihn lese, denke ich: welch weise Worte. Wichtig ist aus meiner Sicht, zu wissen, wer ich bin, zu wissen, was meine Bedürfnisse sind. Und diese Bedürfnisse dürfen wichtig genommen werden. Vor allen Dingen sollen wir sie aber in den Kontext der Bedürfnisse aller anderen Wesen und der Natur setzen. Wenn wir alle gleich wichtig sind, entsteht Balance, entsteht die Magie des guten Lebens.

Gründonnerstag – Mein Leben dreht sich nicht um mich

Wir, und damit auch unsere Blogbeiträge, nähern uns Ostern, dem Ende und dem Anfang. Ein leichtes Bedauern schwingt mit in diesem Wissen, dass diese gemeinsame Fastenreise nun bald zu Ende ist. So wie Meinrad die Erzählung der Fusswaschung bewegt, so hat sie auch mir immer wieder Impulse gegeben und mich an meinen Grundauftrag im Leben, von und mit dem ganzen Herzen zu dienen, erinnert. Meiner Meinung nach dreht sich unser Leben ums Dienen. Wieder ein altertümliches Wort, eine altmodische Tugend, ein alter Wert, aber noch immer vor allem eine wunderschöne Geste. Dem Leben zu dienen heisst zu wissen, dass alles miteinander verbunden ist. Niemand von uns ist besser oder schlechter. Keine ist höher gestellt oder von niederem Rang. Wir sind alle gleich. Und drehen uns im besten Fall im Tanz namens Leben rhythmisch miteinander und umeinander.

Karfreitag – ich werde sterben

Vor der Auferstehung steht natürlich noch der Tod, das Sterben.

Mir scheint, wir haben den Tod aus dem Leben verbannt. Im Jahr 2017 habe ich einen guten Freund, ungefähr gleichalt wie ich, durch die Krankheit in den Tod begleiten dürfen. Es fühlt sich immer noch an, als wäre er viel zu früh gestorben. Es bleibt die Frage des «Warum er?» und «Warum jetzt?». Gleichzeitig war es für uns alle, die wir an diesem Prozess Teil hatten, die Möglichkeit, den Tod und das Sterben zu thematisieren, zu benennen, die Möglichkeit, uns unsere eigenen Ängste und unsere Beziehung zum Tod anzuschauen. Im Tod liegt auch Heilung. So war es zumindest für mich. 

Meinrad schreibt in diesem Beitrag über die Folgen, die unsere Todesvergessenheit für die aktuelle Gesellschaft hat. Ich gehe sogar noch einen Schritt weiter. Mein Gefühl ist, dass wir den Tod aus dem Leben verdrängen wollten. Das geht nicht – er gehört zu uns! Und dies seit unserer Geburt. 

Corona hat den Tod zurück ins Leben gebracht. In das der einzelnen Menschen, die direkt betroffen sind, schmerzhaft und leidvoll. Aber auch für jene, die keine persönlichen Krankheitsfälle in ihrem Umfeld miterleben müssen, ist der Tod wieder präsent. Wir erinnern uns an unsere eigene Sterblichkeit und an die Verletzlichkeit.

Wer ein wenig mehr Zeit mit dem Tod verbringen möchte, dem seien als Einstieg die «Fünf Phasen des Sterbens» von Elisabeth Kübler-Ross ans Herz gelegt. Auch Vergleiche mit der Corona-Krise sind in diesem Zusammenhang erlaubt.

Karsamstag – ich habe nicht die Kontrolle

Ja, ich glaube, eine der wichtigsten Erkenntnisse im Leben ist genau dies: Wir müssen dem Leben vertrauen, denn wir haben keine Kontrolle. Dies wird uns in so vielen Situationen immer wieder aufgezeigt. «Und erstens kommt es anders und zweitens als man denkt» soll schon Wilhelm Busch gesagt haben. Was mir der Karsamstag und diese gesamte Woche vor allen Dingen zeigte, war, wie wichtig Vertrauen in unserem Leben ist. Vertrauen schenken, Vertrauen geschenkt bekommen, und natürlich auch der achtsame Umgang mit diesem Geschenk. Kontrolle aufgeben und Vertrauen schenken scheinen mir zwei der Schlüsselfähigkeiten, die uns die Geschichte von Jesus und auch die Geschichte unseres eigenen Lebens lehren.

Ostern – Leben ist mehr als Überleben

Wir sind am Ende angekommen, also wieder am Anfang. Wie eingangs gesagt, feiern wir mit Ostern das Wissen um den Neubeginn. Der Kreislauf startet erneut. Es ist beruhigend zu wissen, dass wir immer wieder entscheiden können, neu zu beginnen. Es ist beruhigend zu wissen, dass wir uns immer wieder für das Leben entscheiden können. 

Ostern 2020 mit all den unerwarteten Einschränkungen und Impulsen, unser Leben zu hinterfragen, gibt uns die Möglichkeit darüber nachzudenken, was Leben für uns bedeutet. Es gibt uns die Möglichkeit, darüber nachzudenken, was für uns ganz persönlich der Unterschied zwischen Leben und Überleben sein mag.

Ich wünsche uns allen ein Leben in Verbindung mit allem und allen. Ein Leben in welchem wir die Bedürfnisse der Natur und anderer Menschen genauso wichtig nehmen und respektieren, wie unsere eigenen.

Ein Leben, das mehr ist als nur zu überleben.

Diese Fastenzeit, die ich hiermit beende, hat mir unerwartet viel geschenkt und mich durch eine viel intensivere Zeit des Verzichts geschickt, als ich erwartet habe. 

Ich bin zurück auf meine Grundbedürfnisse geworfen und bemerke, wie gut es mir tut, all den Ballast hinter mir zu lassen. Ich freue mich auf die Phase, die nun beginnt, auch wenn ich jetzt noch keine Ahnung habe, was da alles auf uns zukommt. 

Danke an alle, die mich durch diese Wochen begleitet haben und im Voraus herzlichen Dank an alle, die nun die Zukunft, welche uns erwartet, aus der Gegenwart heraus, achtsam, respektvoll, liebevoll und freudvoll gestalten.

Dieser Artikel ist mein letzter Beitrag im Kontext unserer Fastenwoche 2020

Was haben Bäume mit Geldfasten zu tun?

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Spontane Antwort: Je tiefer ich mich in die Auseinandersetzung mit dem Geldfasten begab, desto weniger konnte ich den Wald vor lauter Bäumen sehen. Sprichwörtlich und wirklich. Ich gehe tiefer und tiefer in die einzelnen Themen und der Gesamtüberblick scheint mir an manchen Stellen verloren zu gehen. Das Thema Geldfasten tritt in den Hintergrund. Andere Fragen und Themen wie der Coronavirus und die Weltwirtschaft nehmen sich fast unbemerkt ihren Raum. Dies vielleicht, weil einfach überall Geld involviert ist. Hinzu kommt, dass durch all die Massnahmen rund um Corona nun plötzlich vieles ganz anders ist, als ich es noch vor ein paar Wochen dachte. Die Angst vor Krankheit und Tod scheint ganz plötzlich viel relevanter, als der Erhalt unserer Geldflüsse und der Wirtschaft. 

Vieles, was ich längst geahnt hatte, wird immer mehr durch Selbstbeobachtung und Erkenntnisse bestätigt. Mein ganz persönliches Verhältnis zum Geld, mein Umgang mit Geld bestimmt fast unmerklich mein gesamtes Leben und damit beeinflusse ich auch das Leben von anderen. Meine Geldentscheidungen führen an anderen Stellen in der Welt zu verschmutzten Flüssen, zu Hunger und Leid.

Und was haben die Bäume damit zu tun?

Ich lese gerade das Buch «Die geheime Sprache der Bäume» von Erwin Thoma. Im Januar 2020 hatte ich das Glück, mit ihm ein paar Tage verbringen und seine Weisheit und sein Engagement für unsere Natur und die Bäume erleben zu dürfen. Über den Nutzen von Bäumen und den achtsamen Umgang mit ihnen möchte ich hier gar nicht schreiben. Hierzu kann sich jeder bei Erwin ThomaErnst Zürcher aber auch der mittels des Films «Das Geheimnis der Bäume» von Luc Jacquet und vielen anderen Quellen selber ein Bild machen.

Für mich ist ein Absatz aus dem Buch von Erwin Thoma besonders Augen öffnend gewesen und hat bei mir sehr viel ausgelöst:

Die Bäume verfügen über eine natürliche Intelligenz, welche sie in jedem Moment anwenden, um perfekt auf die äusseren Bedingungen zu reagieren. Bei Sturm werden mehr starke Zellen und Strukturen auf der Seite des Baumes erschaffen, wo der Druck am grössten ist. Bei Trockenheit wird mehr Wasser gespeichert, die Versorgung von nicht lebensnotwendigen Teilen des Baumes wird reduziert.

Ein Baum lebt in einem vollständigen Kreislauf – vom Erschaffen bis zum Vergehen. Alles wird genutzt, sogar die Asche vom Holz, welche beim Feuern unserer Öfen entsteht, kann uns als hochwertiger Dünger dienen.

Diesem Bild hat Erwin Thoma die Tätigkeit eines Statikers gegenübergestellt, der ein Haus, eine Brücke oder etwas anderes Langlebiges bauen soll. Der Statiker, die Statikerin muss schon vorher alles berechnen, für alle Eventualitäten Vorbereitungen treffen.

Der mögliche Sturm, das Wasser und alle weiteren Ausseneinflüsse müssen berechnet sein.

Schnell wird mir klar, dass wir in vielen Situationen, in welchen es um unsere Sicherheit geht, besonders im Umgang mit Geld, wie Statikerinnen handeln anstatt uns die intelligenten und lernfähigen Bäume als Beispiel zu nehmen.

Was wäre, wenn wir mit unseren Geldentscheidungen ähnlich situativ umgehen würden, wie die Bäume mit den Situationen, die von aussen an sie herangetragen werden? 

Geld ist ein Gut, welches aufgrund der Eigenschaften wunderbar situativ genutzt werden könnte. Wie die Säfte des Baumes, sollte es im stetigen Fluss sein, um genau dort zu den Menschen zu gelangen, wo es gerade benötigt wird. 

Mein Verzicht auf Geld ist ein Gewinn für eine andere Person an einer anderen Stelle. Aber nur, wenn das Geld im Fluss ist. 

Wenn ich weniger für mich ausgebe, kann jemand anderes den übrigen Betrag nutzen. Wenn ich weniger arbeite, ist im Unternehmen Geld vorhanden, um eine weitere Person einzustellen. Eine Bedingung dafür ist, dass das Geld stetig und bedarfsorientiert fliesst, wie das Wasser und die Nährstoffe im Baum.

Jetzt könnte natürlich der Einwurf kommen, dass die Menschen, die das Geld bekommen, damit etwas machen, was ich mir nicht wünsche. Dann würde mein Fasten einfach nur dazu führen, dass jemand anderes die Billig-Jeans, das Wegwerfprodukt kauft oder eine andere Konsumentscheidung trifft, die ich selber nie treffen würde.

Theoretisch kann das sein, aber hier ist die Selbstverantwortung gefragt. Wieder gibt es eine Parallele zum Baum: Im Baum gibt es keine zentrale Schaltstelle, jede Zelle arbeitet eigenverantwortlich. Der Nutzen des Ganzen, liegt im ureigenen Interesse aller Bestandteile des Baumes.

Ich entscheide, wohin ich das Geld gebe, welches ich selber nicht brauche. Ich habe persönlich schon vielen Menschen mit ganz kleinen Beträgen unterstützt, welche in ihrem Feld eine grosse Wirkung erzielt haben. Und ich durfte sogar grössere Beträge verwenden, um Startups für einen guten Zweck zu unterstützen. Die moderne Technik unterstützt uns hier, das zu fördern, was wir ganz persönlich unterstützen wollen (KIVAWemakeitGebana: Bauern suchen Kunden und viele mehr).

Die Ausrede «Ich weiss nicht, wohin mein Geld geht» zählt nicht mehr. Um in meinem ganz eigenen Feld zu bleiben: Die verantwortungsvollen Banken wie ABSFreie GemeinschaftsbankGLS oder auch die Global Alliance for Banking on Values und die FEBEA leisten hier einen wirkungsvollen Beitrag.

Geldfasten kann aber auch heissen, weniger arbeiten. Stimmt hier das Argument, dass ich fremdbestimmt bin und damit nicht selber und situativ über meine Geldflüsse entscheiden kann? Nein, keiner zwingt mich bei einem Arbeitgeber zu arbeiten, der zwar hohe Gehälter bezahlt, aber dies auf Kosten der Umwelt und der Gesundheit tut. Und auch im Job selber habe ich Spielraum. Ich selber arbeite derzeit im Jobsharing und hoffe, dass dieses auch anderen zur Inspiration dient. Jeder und jede von uns befindet sich in ganz unterschiedlichen Lebens- und Berufssituationen und wie bei einem Baum sind auch die Aussenbedingungen bei uns ganz individuell. Daraus folgt, dass es kein Patentrezept gibt, welches bei allen Menschen anwendbar wäre. Das heisst aber auch, dass wir die Chance haben, ganz individuell und auf uns persönlich zugeschnittene Entscheidungen zu treffen. 

Die Bäume lehren uns ein Reagieren auf Ausseneinflüsse aus der Situation heraus und ähnlich stelle ich mir ein gutes Verhältnis zum Geld und den Einnahmen und Ausgaben vor.

Das Geld ist unser ganz persönliches Werkzeug, es den Bäumen nachzumachen.

Für das Entstehen eines manchmal bis zu 50 Meter hohen Baumes braucht es einen geschützten Platz, Sonnenlicht, Humus, Wasser und einen nur Millimeter grossen Samen – mehr nicht.

Der Gedanke als Mensch von den Bäumen zu lernen, wäre es Wert, weiterverfolgt zu werden. Doch führt dieser zu weit weg vom Geldfasten, daher lasse ich ihn ziehen.

Dieser Artikel ist ein Beitrag im Kontext unserer Fastenwoche 2020