Genügsamkeit

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Zu Beginn der Fastenzeit ist mir das Wort Genügsamkeit in einem Artikel zum Thema Geld aufgefallen. Das Wort und seine Bedeutung begleiten mich seitdem. Ich wollte schon länger darüber schreiben. Heute beginne ich damit.

Es ist schon seltsam, wie sehr sich das Thema «Geld und Fasten», welches ich mir für diese Fastenwoche ausgesucht habe, in den aktuellen Ereignissen rund um den Globus wiederspiegelt. Ich lese von Hamsterkäufen, von Ländern, die ihre Grenzen schliessen, mit der Begründung, dass Grenzgänger nicht die Regale der Lebensmittelgeschäfte im Nachbarland leer kaufen.

Mit Genügsamkeit hat dies nur wenig zu tun. Synonyme zu Genügsamkeit sind zum Beispiel: Bescheidenheit, Dankbarkeit, Einfachheit, Enthaltsamkeit. Genügsam sein bedeutet: Mit wenig zufrieden zu sein, so sagt der Duden. Ansonsten finde ich bei der Suche im Netz nicht sonderlich viel zur Genügsamkeit. Sie scheint veraltet, nicht attraktiv. 

Bescheidenheit ist nicht gefragt, unsere westliche Konsumgesellschaft spiegelt es uns wider,. Wir leeren die Regale, damit es uns auch weiter gutgeht. 

Die Fragen: «Was brauchen die anderen?», «Was nehme ich jemandem anders weg, wenn ich mehr kaufe, als ich brauche?» scheinen von jenen, die ihre Einkaufwägen mehr als voll laden, nicht gestellt zu werden.

Martin Booms von der Akademie für Sozialethik und Öffentliche Kultur in Bonn fasst es in seinem Artikel «Corona und die Werte: Warum es um viel mehr geht als nur um eine gesundheitliche Krise» aus meiner Sicht wunderbar zusammen: Es geht um ein ausgewogenes Verhältnis zwischen Gemeinwohl und Eigeninteresse. 

(…) Denn die Corona-Epidemie trifft – gerade in den westlich-liberalen Gesellschaften – auf einen moralisch und politisch schwer vorerkrankten Patienten, der bereits vorher an allen Symptomen litt, die die gegenwärtige Epidemie nun exponentiell hervortreibt: einem hohen Mass an Orientierungslosigkeit und Verunsicherung, gepaart mit Vertrauensverlust gegenüber etablierten politischen und wirtschaftlichen Strukturen; einem durchgreifenden Hang zur Dystopie, dem der Zukunftshorizont in immer düstereren Farben erscheint und der den klassischen Fortschrittsoptimismus des liberalen Weltverständnisses freiheitsbedrohlich in sein Gegenteil verkehrt; einer Erosion des Konzepts objektiver Wahrheit, die noch den letzten festen Boden allgemein anerkannter Tatsachen ins Wanken gebracht hat. (…)

NZZ Online Martin Booms 14.03.2020, 05.30 Uhr (Link)

Wir haben das Vertrauen in uns, in die Gesellschaft, die Politik, die Wirtschaft, ja so wie es scheint in alles verloren. Da ist es dann auch nicht verwunderlich, dass wir mit Tugenden wie Genügsamkeit, Bescheidenheit und Enthaltsamkeit so wenig anfangen können. 

Im Fasten erlebe ich immer wieder, wie wenig ich brauche. Und das, was ich nicht brauche, können ja andere benutzen. Ein Kreislauf, der mich mehr nährt, als das Wissen darum, dass ich mit meinen gehamsterten Vorräten ein paar Wochen länger auskomme, als meine Nachbarn. Ich konzentriere mich wieder auf das Wesentliche und merke, was ich alles nicht brauche. 

Für mich ist Genügsamkeit ein Luxus. Ich geniesse es sehr, wieder zu erkennen, wie wenig für ein gutes Leben notwendig ist. Und auch zu erkennen, dass es kein Leiden, sondern ein Gewinn ist, sich allem Überflüssigen ganz bewusst zu entledigen und dem Wesentlichen Zeit und Aufmerksamkeit zu schenken.

Was mich besonders nährt in dieser Zeit ohne Nahrung ist, dass ich mir wieder bewusst mache, dass meine Genügsamkeit bei jemand anderem das Gefühl von Fülle auslösen kann. Das, was ich nicht nutze oder esse, kann jemand anderes gebrauchen. Wenn wir dies nicht nur in unserem direkten Umfeld praktizieren, sondern uns bewusst machen, dass die Wirkung auf der globalen Ebene noch viel, viel grösser ist, fast unvorstellbar, was können wir dann alles gemeinsam bewirken. Eine Welt ohne Hunger ist möglich – und das Umverteilen von Geld und anderen Ressourcen durch die eigene Genügsamkeit, nicht nur in Fasten oder Krisenzeiten, sondern auch im ganz alltäglichen Leben, ist die eigentliche Fülle. 

Dieser Artikel ist ein Beitrag im Kontext unserer Fastenwoche 2020 

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